Wer sein Haus baut an die Strassen, Muss die Leute reden lassen.
Literatur
Diese Angabe ist ein Irrthum; es war vielmchr 1848, noch vor der Revolution, wo diess gedruckt wurde. Ja aus der Ueberschrift des Artikels hätte leicht ersehen werden können, dass derselbe schon am 20. December 1847 in einer Jahressitzung der Gesellschaft für wissenschaftliche Medicin zu Berlin gelesen wurde.
Hr. v. Ringseis führt mir zu Gemüthe, dass die Kirche mehr für die untersten Klassen des Volkes leiste, als die Demokratien jemals gethan hätten. Als Beispicle citirt er den “pseudodemokratischen Musterstaat der Schweiz”, in dem sich Armuth und Verbrechen in furchtbarer Weise mehren, sowie den “modernen Musterkreis der Pflaz, der viel mehr Arme zähle, als die altbayerischen Kreise.” In dieser ganzen Argumentation wäre eigentlich gegen jedes Wort etwas zu sagen; ich beschränke mich auf Folgendes: 1) die grössere Zahl von Armen beweist nirgend, dass für die Armen schlechter gesorgt werde, als da, wo weniger Arme sind; 2) dass in Altbayern weniger Arme sind, folgt nicht einfach aus der grösseren Einwirkung der Kirche, sondern aus gewissen traditionellen Eigenthümlichkeiten des Landes, z. B. den Erbschafts-Verhältnissen, sonst würde es schwer begreiflich sein, warum gerade in Altbayern die Verbrechen so überwiegend häufig sind; 3) die Schweiz enthält in dem sonderbündlerischen Theile allerdings Zustände, welche einer sorgfältigen Vergleichung mit denen demokratischer Cantone, z. B. Zürich, Genf, Waadt, jener alten Heerde der Bildung, sehr würdig sind; 4) es ist unzweifelhaft, dass die katholische Kirche, zumal in Zeiten des Druckes, den Wohlthätigkeitssinn ihrer Gemeindeglieder auf die glücklichste Weise zu bethätigen weiss und ich habe diess nie in Abrede gestellt; allein die Demokratie verfolgt die Aufgabe, das Rechtsgefühl und die Bildung der Bürger zu kräftigen und dadurch Zustände herbeizuführen, welche dem Einzelnen die Bedingungen der Existenz zugänglich machen, ohne dass er auf die Gnade Anderer angewiesen würde.
So erklärt Hr. Lotze, der nicht immer die “maassvolle” Weise liebt, welche sein physiologischer College so sehr anpreist, dass er “für eine eigenthümliche Art doppelter Buchhaltung, wie sie uns jetzt so oft empfohlen wird, kein Verständniss habe. In der Naturwissenschaft diesem Princip zu folgen und sich für die Trostlosigkeit seiner Resultate schadlos zu halten, indem man im Glauben ein anderes Princip umfasst, hat ihm stets eine unwürdige Zersplitterung unserer geistigen Kräfte geschienen.” (Med. Psychologie S. 36.)
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Virchow, R. Empirie und Transscendenz. Archiv f. pathol. Anat. 7, 3–29 (1854). https://doi.org/10.1007/BF01936228
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DOI: https://doi.org/10.1007/BF01936228