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Über den Gestaltwandel der Melancholie

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Zusammenfassung

Bei 480 Patienten, die sich in dem Zeitraum von 1910–1963 wegen einer Melancholie in der Münchner Nervenklinik befanden, wurde die Abhängigkeit der depressiven Symptome von dem jeweiligen Aufnahmeund Geburtsjahrgang, aber auch von Alter, Geschlecht, Beruf und Wohnortsgröße untersucht. Dabei ergab sich, daß innerhalb der letzten Jahrzehnte die Schuldgedanken in ihrer Gesamtheit abgenommen haben; während sie im Jahre 1910 noch bei 61,6 % der Patienten vorhanden sind, kommen sie 1963 nur noch bei 42,5 % der depressiven Kranken vor. Verstöße gegen traditionelle kirchliche und staatliche Gebote bestimmen seltener als früher den Inhalt der Selbstbezichtigung. Dagegen spielen berufliche Versäumnisse (20,6 %) und Verstöße gegen Familienpflichten (11,6 %) eine erheblich größere Rolle als vor 50 Jahren (3,3 % bzw. 1,6 %). Körperliche Funktionsstörungen sind von 20,8 % auf 55,5 %, Klagen überArbeitsunfähigkeit und Leistungsabfall von 26,6 % auf 70,0 % angestiegen; die auf die berufliche Leistung bezogenen Insuffizienzideen haben ebenfalls erheblich zugenommen. Bemerkenswert ist, daß die Gedankenwelt der depressiven Patienten in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg von den allgemeinen Sorgen der damaligen Zeit gefärbt wird.

Für eine kulturelle Relativität depressiver Krankheitsäußerungen sprechen auch viele psychiatrische Untersuchungen aus anderen Gebieten der Welt. Wie weit diese Relativität reicht und ob sich hinter den zahlreichen Metamorphosen der endogenen Depression die Konturen eines unveränderlichen, kulturstabilen Kernsyndroms abzeichnen, läßt sich heute noch nicht entscheiden. Auch die Frage, inwieweit kulturelle Einflüsse nicht nur eine pathoplastische Wirkung auf die inhaltliche Gestaltung der Melancholie ausüben, sondern auch in die Pathogenese der endogenen Depression eingreifen, kann durch die vorliegende Untersuchung nicht beantwortet werden.

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Lauter, H., Schön, W. Über den Gestaltwandel der Melancholie. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift f. d. ges. Neurologie 209, 290–306 (1967). https://doi.org/10.1007/BF00346646

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