ISSN:
1432-1351
Source:
Springer Online Journal Archives 1860-2000
Topics:
Biology
,
Medicine
Notes:
Zusammenfassung Die Frage nach dem adäquaten Reiz für den Statolithenapparat war bisher ungeklärt ; für jededer Haupttheorien: der Reiz entstehe durch mechanischen Druck, Zug, Scherung oder „hydrostatischen“ Druck wurden in der Literatur Argumente angeführt. Ebenso bestand Uneinigkeit über die Frage des Zusammenspiels der beiden statischen Apparate. Es wird dargelegt, daß die Widersprüche vor allem methodische Gründe haben (Reflexmessungen an gefesselten Tieren, Fehlen quantitativer Reizversuche); eindeutig definierbar ist nur die symmetrische Gleichgewichtslage („reflexlos“). Eine exakte Methode, die lediglich die Änderung der Gleichgewichtslage selbst an frei in einer Strömung schwimmenden Fischen genau mißt, wird beschrieben. Dabei wird der mechanische Reiz durch ein ausätzliches Zentrifugalfeld bis auf das Dreifache der Erdschwere vergrößert oder andererseits die für Lagereaktionen um die Längsachse wirksame Schwerekomponente bis auf Null herabgesetzt. Die Methode benutzt die Tatsache, daß die Gleichgewichtslage der Fische zugleich statisch und optisch bestimmt wird (v. Holst 1935), so daß der horizontal beleuchtete Fisch seine Hochachse um einen je nach Helligkeit und Fischart verschiedenen Winkel (bis über 800) zur Lichtrichtung geneigt einstellt. Die biologische Bedeutung des optischen Gleichgewichtsanteils, zentrale Umstimmungserscheinungen, sowie verschiedene Typen von statischen „Reflexen“ werden besprochen. 1. Die Hauptergebnisse über den statischen Apparat sind: 1. Erhöhung der mechanischen Feldstärke F bewirkt bei konstanter horizontaler Beleuchtung eine gesetzmäßige Abnahme des Neigungswinkels α nach der Formel F1∶F2 = ctgα1∶ctgα2. Diese „Cotangensregel“ gilt exakt für den gesamten Winkelbereich und für die Lageorientierung um die Längs- und Querachse. Ebenso bewirkt Verringerung der wirksamen (längsachsenlotrechten) Schwerkraftkomponente bis herab auf Null eine gesetzmäßige Vergrößerung von α, die der Cotangensregel genau entspricht. Dieses Verhalten des Fisches kann durch ein einfaches mechanisches Waagemodell präzise dargestellt werden. Es folgt daraus neben anderem, daß zwischen physikalischer Reizursache und physiologischer Reizwirkung keine logarithmische Beziehung bestehen kann. 2. Alleinige Änderung der Richtung des Lichteinfalls (von oben bis seitlich) verursacht eine gesetzmäßige Änderung von α, die ebenfalls durch das mechanische Modell genau nachgeahmt wird (lineare Super-position beider Gleichgewichtskomponenten). 3. Änderung der mechanischen Feldstärke bei konstanter Helligkeit und konstantem Winkel zwischen Lichtrichtung und Fischauge bewirkt jeweils eine solche Änderung von α, daß die an den Statolithen auftretende Scherungskomponente genau gleich groß bleibt. Daraus folgt unmittelbar, daß allein die Scherung der rezeptoradäquate Reiz ist. Auf Druck, Zug, sowie hydrostatische Druckänderung spricht der statische Apparat nachweislich nicht an. 4. Die Scherung als Reiz bedeutet hohe Empfindlichkeit in der Nähe der Nullage und ermöglicht — im Gegensatz zu Druck oder Zug — eine Richtungsanzeige. Exakte Unterscheidung der Scherung in verschiedenen Richtungen wird experimentell nachgewiesen. 5. Einseitige Entstatung führt, wie für alle Wirbeltierklassen bekannt, zu anhaltender Drehtendenz um die Längsachse nach der Operationsseite hin (scheinbare Tropotaxis). Diese Drehtendenz wird durch Erhöhung der mechanischen Feldstärke (und damit des Scherungsreizes am erhaltengebliebenen Statolithen) nicht gesteigert, sondern gesetzmäßig verringert. Dementsprechend bleibt die Drehtendenz voll erhalten, wenn die für Lageorientierung um die Längsachse allein wirk-same Schwerekomponente senkrecht zur Längsachse des Fisches bis auf Null verringert wird. Hieraus folgt (unter Mitberücksichtigung von Versuchsergebnissen früherer Autoren), daß diese postoperative Drehtendenz mit dem einseitigen Statolithenreiz nichts zu tun hat, sondern auf einer Automatie (Daueraktivität) des Sinnesepithels beruht. Die biologische Bedeutung dieser Automatie wird dargelegt: „Tonus“-Funktion und Beseitigung der reizschwellenbedingten Unempfindlichkeit für kleinste Reize. 6. Quantitative Auswertung der Meßergebnisse an einseitig entstateten Fischen ergibt, daß jeder Statolith telotaktisch arbeitet und bei Neigung nach rechts oder links gleich große gegensinnige Drehtendenzen auslöst. Diese Reizreaktion überlagert sich der lageunabhängigen asymmetrischen Dauerwirkung der automatisch tätigen Sinneszellen der intakten Seite. 7. Einseitige Entstatung ändert bei konstantem Feld und Seitenlicht (nach rechnerischem Abzug bzw. nach zentraler Kompensation der automatiebedingten Drehtendenz) die Schräglage ; und zwar so, daß der operierte Fisch sich ebenso einstellt wie der intakte bei der halben Feldstärke. Verdoppelung der Feldstärke bringt den einseitig entstateten Fisch wieder in die Ausgangslage vor der Operation zurück. Daraus folgt zweierlei: 1. Zwischen rezeptoradäquatem Reiz und physiologischer Reizbewertung im Zentrum besteht lineare Proportionalität. 2. Die aus beiden statischen Apparaten eintreffenden Erregungen addieren sich einfach in ihrer Wirkung. Eine mathematische Untersuchung sichert diese Schlußfolgerungen. 8. Irgendeine Form von Reizgewöhnung (Adaptation) ist im statischen Apparat nicht nachweisbar. 9. Eine nur scheinbare Gültigkeit des „Weberschen Gesetzes“ für die Beziehung zwischen der mechanischen Feldstärke (bzw. Schwere) und der physiologischen Reizwirkung gibt Anlaß zur strengen Unterscheidung von organadäquatem und rezeptoradäquatem Reiz (hier Schwerkraft und Scherungskomponente der Schwerkraft). Aus diesen Tatsachen ergibt sich zusammenfassend eine unüberbietbare Einfachheit und zugleich technische Vollkommenheit des statischen Apparates. Die Proportionalität von Reiz und Reizwirkung, sowie das Fehlen einer Reizgewöhnung hängen damit zusammen, daß der organadäquate Reiz (Schwerkraft) eine konstante Größe besitzt. Die dargelegte, experimentell gut gesicherte, Theorie weicht von den heute üblichen Auffassungen über Statolithenfunktion erheblich ab, bestätigt jedoch weitgehend und präzisiert die alte Scherungstheorie von BREUER (1891) ; sie vermag alle (uns bekannten) älteren, bisher zum Teil sich widersprechenden, gesicherten Befunde ohne Zusatzhypothese zu erklären. Zum Schluß wird auf den verbreiteten Irrtum hingewiesen, ein bestimmter Reiz im statischen Organ löse zwangsläufig bestimmte Haltungs- und Bewegungs-„Reflexe“ aus. Tatsächlich „bedient“ sich das Zentralnervensystem des statischen Apparates als eines „Kompasses“, mit dessen Hilfe der Körper Lagen in sehr verschiedener Orientierung zum Schwerefeld aktiv einnehmen kann.
Type of Medium:
Electronic Resource
URL:
http://dx.doi.org/10.1007/BF00340661
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